5. Kapitel: Die Gärten von Lapadu

Sie hatten sich für den darauf folgenden Tag verabredet, um dem Geheimnis der Gärten von Lapadu auf den Grund zu gehen. Magdalena war am Abend noch sehr enthusiastisch über dieses vielversprechende Vorhaben gewesen - schließlich hatte sie seit Tagen das Schloss nicht mehr verlassen - doch als Inga sie morgens weckte, schlug die Vorfreude in abgrundtiefe Reue um. Ihre Schläfen pochten grausam, ihr Magen rebellierte gegen die plötzliche Bewegung.
Tessa ging es nicht besser; sie hatte sich im zugigen Saal zusätzlich eine Erkältung zugezogen und öffnete nur ein Auge, als Magdalena sie zu wecken versuchte.
"Schlaf dich aus," sagte sie und tätschelte ihrer Schwester den Kopf. Tessa zog die Decke fester um sie und hustete:"Du hast 'ne Fahne, Perle."

Eine Stunde später standen sie in der Empfangshalle: Inga, Magdalena, Frau D'uissi und Brand. Nur Mandelkern fehlte noch.
"Wir quälen uns aus dem Bett und der Baron von Hamsterbacke hat keine Zeit, rechtzeitig zum Treffpunkt zu erscheinen? Ist mein Titel hier denn gar nichts wert?!"
Inga kicherte über Magdalenas kleinen Wutanfall und sagte:"Hat dich doch eh immer genervt."
"Aber ich bin doch nicht nach Düsenschloss gegangen, um jetzt meinen Titel loszuwerden," erwiderte Magdalena mit leicht verletztem Stolz. Frau D'uissi, die sich bisher dem Feilen ihrer Nägel gewidmet hatte, räusperte sich zunächst, hustete dann aber heftiger, was völlig undamenhaft klang. Scheinbar hatte der gestrige Schnaps selbst ihre Anmut davongetragen.
"Ich kann dir einen Anwalt empfehlen," sagte sie röchelnd, aber mit ernster Miene. Magdalena runzelte die Stirn und meinte nur:"Wir werden sehen." Sie vernahm ein leises Tapsen und Schnaufen und wandte den Kopf zur Treppe. Dort hockte Mandelkern, sichtlich geschafft von seinem Marsch - oder der durchzechten Nacht.
"Sorry!", rief er und kletterte im Zeitlupentempo die Treppe hinab. Inga sammelte ihn ein und hob ihn an ihr Gesicht. Auf seinem Rücken trug er wieder den seltsamen kleinen Rucksack.
"Du stinkst," sagte Inga angewidert. "Eine Wäsche lohnt sich eh nicht bei dem Weg, den wir vor uns haben," schimpfte er beleidigt. "Das klingt ja abenteuerlich," sagte Magdalena.

Sie gingen durch die Tore von Düsenschloss und traten ins Freie. Die Sonne stach durch dichten Nebel mit vielen hellen Pfeilen, doch vermochte es nicht, die dunstige Luft zu vertreiben. Der Fluss in der Ferne war kaum zu erkennen.
Die Gärten vor der Villa waren so wild verwuchert wie Magdalena es in Erinnerung hatte - mit Ausnahme der geharkten Kieswege. Es schien, als wollten sie versuchen, das Chaos irgendwie im Zaum zu halten. "Hier entlang," wies Mandelkern und wandte sich nach rechts.
Ein Stück gingen sie an der Schlossmauer entlang, dann wandte sich der Weg ab von der Villa, führte geradewegs auf einen hoch bewachsenen Hügel zu. Als sie ihn erreichten öffnete Brand eine kreisrunde Tür im Boden. Vier Hälse reckten sich und sahen hinab. Eine Leiter führte herunter zu einem unterirdischen Gang, der von einer grellen Lampe beleuchtet wurde.
Inga kletterte flink hinab und stand bereits mit beiden Beinen auf dem Boden, als Magdalena fragte:"Mandelkern, zu welchen Gärten gelangt man denn unterirdisch? Waren die Wege nicht versperrt? Ist das alles eigentlich so sicher?"
"Prinzessin, seit wann bist du denn ein Angsthase? Oder hast du Angst, dass das Licht deine Augenringe noch unterstreicht? Wir werden gleich eh wieder umkehren müssen, wirst schon sehen," erwiderte er und kniff ihr beinahe sanft in die Wange. "Kommt ihr?", rief Inga hinauf.
Frau D'uissi war scheinbar zeitig über das unterirdische Unterfangen eingeweiht worden und hatte daher praktische, warme Hosen ihrer sonst eher pompösen Kleidung vorgezogen. Etwas wackelig stieg sie die Leiter herunter, Brand reichte ihr seinen hölzernen Arm.
Der Gang war zunächst schmal, öffnete sich aber zusehends. Trotz der feuchten Wiese oberhalb war es hier erstaunlich trocken. Magdalena konnte aber bald den Grund von Mandelkerns mangelnder Zuversicht erkennen: nach nur einhundert Metern war der Weg versperrt mit einer Wand aus festem Stein.

"War das nicht ein schöner Ausflug?" Mandelkern breitete unter hohler Begeisterung die Pfoten aus. "Komm, Prinzessin, wir spielen Verstecken in den Labyrinthen."
"Hat denn noch keiner versucht, die Wand zu bewegen?", fragte Magdalena. Sie und Inga traten näher heran. "Die Düsenschlosser Schlossgarde hat bereits alles in ihrer Macht stehende versucht. Was nun leider nicht so viel ist. Immerhin hat Gerhard zugegeben, dass er dafür verantwortlich ist."
"Gerhard? Wieso sollte er denn so etwas machen?" Magdalena hob die Augenbrauen, während Inga gedankenversunken die Wand betrachtete. Gerhard musste doch als Mitglied der Familie dafür sorgen, dass die Wege ins Umland passierbar blieben - und nicht, dass sie versperrt wurden.
Mandelkern zuckte mit den Achseln. "Keine Ahnung, er hat furchtbaren Spaß daran, das Düsenschlosser Land mit seinen kryptischen Verhexungen zu besetzen. Die Wege nach Lapadu sind nun eher sekundär interessant für die Bevölkerung von Düsenschloss, aber die Familie hat schon ihre Probleme damit, da die Postämter hauptsächlich über Lapadu liefern. Und da die diesen Spaß nicht mitmachen wollen," Mandelkern hob die Arme. "Bringen die über den überirdischen Weg nur das Nötigste."
"Sekundär interessant," schnaubte Frau D'uissi. "Meine Familie verbringt nahezu den ganzen Sommer in Lapadu. Es wird Zeit, dass wir dort wieder Zugang finden. Meine Post hätte ich auch gerne einmal wieder pünktlich!"
"Schaut mal," sagte Inga plötzlich und zeigte auf etwas in der Wand.
Sie beugten sich vor und stießen mit den Köpfen fast aneinander, um zu erkennen was Inga meinte: Dort waren Zeichen in der Wand, winzig klein, sodass man sie kaum entziffern konnte.
"Diese seltsamen Kritzeleien hinterlässt Gerhard an jeder Ecke," erklärte Mandelkern quäkend. "Das Problem ist, dass kein Mensch versteht, was sie bedeuten."
"Aber das sind doch Anweisungen," sagte Inga. "Hier, hört selbst:

GiltfuerganzDuesenschloss () 
Level 1 ()

/* 
Eins, eins, null, null, modulo,
was du kannst, das kann ich sowieso,
Verzage nicht, du armer Tropf,
drück' doch einfach auf den Knopf.
         
G
*/ 

     wenn tasse leer

          wir muede und schlafen
          #haha

     sonst 
          wir wach und arbeiten
          #caffeine

"Für mich klingt das eher wie ein Sprachfehler," meinte Magdalena. "Was soll das heißen, Tasse leer? Welche Tasse?" "Fragenfragenfragen," stöhnte Mandelkern, riss mit seinen Hamsterzähnen ein Stück Klebeband ab und trat damit auf Magdalena zu. Sie ging schnell hinter Frau D'uissi in Deckung.
Brand war die ganze Zeit über still gewesen; nun trat er neben Inga und deutete auf die Inschrift. "Ich finde die Versen viel interessanter. Welchen Knopf meint er denn?"
Inga fuhr mit ihren Fingern über die Wand unterhalb der Zeilen, fand aber nichts. Gemeinsam stellten sie sich an die Wand und betasteten wie wild den kalten Stein. "Ich glaube, ich habe etwas," rief Frau D'uissi und drückte mit ihrer linken Hand auf eine kleine Erhebung.
Magdalena hörte ein Klicken, als wäre ein Mechanismus innerhalb des Gesteins in Bewegung gesetzt worden. Unterhalb der Verse ruckelte etwas, eine kleine Tür klappte auf und ein Arm schob sich heraus, mit einer Tasse zwischen hölzernen Fingern.
"Ich werd' bekloppt," entfuhr es Frau D'uissi.
Inga betrachtete wieder die rätselhaften Zeilen im Gestein. "Wenn Tasse leer, wir müde und schlafen," murmelte sie. "Koffein. Trinkt Gerhard nicht für sein Leben gern Kaffee?", fragte sie an Mandelkern gerichtet. Dieser hatte es sich wieder auf Magdalenas Schulter bequem gemacht, nachdem sie beide Frieden geschlossen hatten und sah sie mit großen Augen an. "Ja, er bestellt regelmäßig große Mengen Kaffee über den Hafen. Ich glaube, er wollte mal auf schwarzen Tee umsteigen, aber er bekommt davon Herzrasen."
"Woher weißt du denn sowas?", fragte Magdalena verdutzt. "Jedes Mitglied der Familie hat mindestens ein Buch geschrieben und ich habe viel Langeweile," erwiderte Mandelkern, doch Magdalena schüttelte den Kopf. "Nein, ich meinte Inga. Woher weißt du so was über Gerhard?"
Inga errötete und machte eine abwehrende Handbewegung. "Ach, wie gesagt, meine Nachforschungen." Sie widmete sich schnell wieder der Tasse, die immer noch auffordernd aus der Wand ragte. Magdalena meinte, jemanden ungeduldig seufzen zu hören.
"Wir brauchen also Kaffee," stellte Inga fest. "Würde den jemand besorgen? Ich könnte auch einen gebrauchen."



Wenig später füllte Inga auf Mandelkerns Anweisung hin Kaffee mit einem Tropfen Hafermilch in die Tasse. Als sie beinahe randvoll war, rollte der Arm quietschend wieder zurück und in der Wand knackte und krachte es. Dann schob sie sich zur Seite als sei sie eine japanische Schiebetür  aus Lärchenholz und Shoji-Papier und gab den Gang frei.
Gestärkt durch heißen Kaffee und den ersten Triumph des Tages setzte die Gruppe frohen Mutes ihren Weg fort. An der nächsten Gabelung wies Mandelkern auf den rechten Gang und die anderen folgten ihm. Plötzlich blieb Magdalena stehen und zeigte mit dem Finger auf eine weitere Inschrift.
Darunter stand ein schwarzer, umgedrehter Zylinder. "War das auch Gerhard?", fragte Magdalena und Frau D'uissi schüttelte den Kopf. "Nein, das sind Quacksalber. Dieser hier ist wohl hinter der verschlossenen Wand verhungert. Einfach ignorieren, die wollen für jedes unnütze Wissen Kohle haben."
Mandelkern schnippte beim Vorbeigehen dennoch eine Münze in den leeren Zylinder.


Der Landschaftspark Duisburg-Nord (auch kurz LaPaDu, im Volksmund „Landi“) ist ein etwa 180 Hektar großer Landschaftspark rund um ein stillgelegtes Hüttenwerk in Duisburg-Meiderich, der im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park entstand. 
[... ] 
Die britische Tageszeitung The Guardian zählt den Landschaftspark Nord zu den zehn besten Stadtparks der Welt.

~ Wikipedia. 





Kommentare