3. Kapitel: Die Tussi von Düsenschloss - Teil 2 -


"Frau D'uissi, Sie können mich gerne mit Magdalena ansprechen. Das reicht völlig aus," beteuerte sie, als sie nebeneinander durch die Halle schritten. "Glauben Sie mir, Magdalena, irgendwann werden Sie es wünschen, dass die Leute Sie mit Fürstin ansprechen. Aber fürs Erste werde ich mich darauf einlassen," erwiderte Frau D'uissi. "Kommen Sie, Magdalena. Ich zeige Ihnen, warum ich die Reichste aller D'uissis bin! Aber zuerst wollen wir essen." Mandelkern patschte begeistert Beifall.

Sie steuerte auf ein Podest zu, das sich hinter einem Achterbahngerüst erhob. Eine Treppe führte hinauf zu einer Art Aussichtsplattform. Mit Leichtigkeit erklomm Frau D'uissi die Stufen und ließ sich auf einem der beiden Polsterstühle, die nur auf sie zu warten schienen, nieder. Er knarzte empört unter ihrem Gewicht.
Als Magdalena sich ebenfalls in die weichen Kissen niederließ bemerkte sie, wie erschöpft sie war. Ihr Magen knurrte und sie sehnte sich nach einem erfrischenden Bad. Sie spürte den mitleidigen Blick der Frau neben ihr. "Hat Mandelkern Sie denn vor Ihrem Besuch nichts essen lassen?", fragte sie und Magdalena schüttelte den Kopf. "Nun, da haben Sie aber Glück, dass sie die Frau D'uissi zuerst kennen gelernt haben," fuhr sie fort und klatschte zwei Mal in die speckigen Hände.

Irgendwo quietschte und knallte es und schon schlitterte ein Kurzzug von drei Loren aus der Wand zu ihrer linken und fuhr mit rasanter Geschwindigkeit einen steilen Abhang hinunter. Er drehte noch drei Rechtskurven bevor er mit einem ohrenbetäubenden Quietschen vor der Plattform stehen blieb.
Aus dem Führerhäuschen der pechschwarzen Lok stieg das seltsamste Wesen, das Magdalena je gesehen hatte. Ein Männlein, ebenso schwarz wie die Lok, stand neben dem Zug und verbeugte sich steif vor den Frauen. Es reichte Magdalena vielleicht bis zum Knie. Sein Rumpf war zylinderförmig und Arme wie Beine waren mit dicken, silbernen Schrauben an seinen Körper geschraubt. Hände besaß er keine.
Sein Gesicht war ein Gesicht aus Kreide wie von Kinderhand gemalt; breit, krakelig, unförmig - aber freundlich. Magdalena verspürte direkte Sympathie mit dem kleinen Kerl.
Ohne ein Wort stakste er zur Lore und beförderte daraus einen Tisch, Gedeck für alle - sogar für Mandelkern - und sämtliche Köstlichkeiten. Frisch gebackenes Brot, Pasteten, Käse, Soßen und Fleisch, eingelegte Oliven und noch vieles mehr. Nachdem er die Speisen serviert hatte, stellte er sich schweigend neben die Lok und wartete.
Frau D'uissi nahm nichts weiter als einen halben Teller Salat und etwas Huhn.
Als Magdalena sie fragte, ob sie keinen Hunger habe - sie schämte sich ihrer Gier, mit er sie sich auf das Essen gestürzt hatte - seufzte Frau D'uissi nur und sagte:"Ich möchte auf meine schlanke Linie achten. Für meinen Verlobten! Ich bin verlobt." Sie kicherte wie ein junges Mädchen und verschluckte sich dabei. Dann lachte sie laut und seufzte erneut. Dann nestelte sie an ihrem Kleid und förderte eine Pfeife zutage, die sie fachmännisch zu stopfen begann.
"Wer ist denn der Glückliche?", fragte Magdalena zwischen zwei Bissen. Frau D'uissi schürzte die Lippen und ihre Augen blitzten. Sie entzündete die Pfeife und ein süßlicher Geruch breitete sich aus.  "Die hat's ja richtig erwischt," raunte Magdalena Mandelkern zu, während Frau D'uissi wiederum in ihrer Kleidertasche nach einem Foto suchte und er schmatzte nur:"Du hast sie doch gefragt. Jetzt wirst du wohl auch zuhören, Fürstin."
Bevor sie ihm dafür eine runter hauen konnte, versperrte ein Foto von einem ebenso dicklichen Menschen, wie Frau D'uissi einer war, Magdalenas Sichtfeld. Ein Doppelkinn-grinsender Inder blickte ihr entgegen. "Das ist Tutu, der aus der Ferne kommt, um mich zu holen." Frau D'uissi nahm einen tiefen Zug von ihrer Pfeife und atmete seufzend aus. "So ein stattlicher Mann. Mit einer Menge Geld versteht sich. "
"Ich gratuliere natürlich recht herzlich!", floskelte Magdalena, aber sie freute sich tatsächlich. "Wann ist denn die Hochzeit?"
Frau D'uissi ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. "In sechs Monaten! Und es gibt noch so viel zu tun, bevor er kommt. So viel an mir zu tun, bevor er kommt. Aber dann wird alles gut. Dann gehen wir zusammen nach Amsterdam," nuschelte sie schließlich.
Einen abschätzigen Blick warf sie Magdalena dennoch zu. "Wir wollen eine wunderschöne, weiße Hochzeit mit Tauben, Romantik, allem drum und dran. Ihre Zeremonie war ja wie der Abschluss einer Versicherung, Magdalena. Das hätten Sie ruhig etwas feierlicher begehen können."
"Viel mehr ist es ja auch nicht," entgegnete Magdalena trocken. Der Fürst und sie hatten tatsächlich eine Menge Papierkram unterzeichnet und es dabei belassen.
"Dafür gibt es heute ein großes Bankett mit der Verwandtschaft des Fürsten und allen höheren Bewohnern der Villa Düsenschloss. Sie werden doch auch anwesend sein, Frau D'uissi?", meldete sich Mandelkern zu Wort. "Selbstverständlich," antwortete sie mit glasigen Augen. Gerne hätte Magdalena selbst getestet, was die Dame D'uissi in der Pfeife verköstigte, doch hielt es für eine gute Idee, einen kühlen Kopf zu bewahren.

"Verraten Sie mir nun, wie Sie zu solch galantem Reichtum gekommen sind?", fragte sie stattdessen.
Frau D'uissi beugte sich zu ihr und sagte:"Alles geerbt. Aber meine Vorfahren haben diesen Kerl - ", sie wies auf das nach wie vor reglose Männlein neben der Lok - "haben diesen Kerl in seiner ursprünglichen Form aus dem Fluss gezogen."
Magdalena runzelte die Stirn. "Seine ursprüngliche Form? Ich denke, er ist aus Holz?"
Mandelkern quäkte nur leise:"Ach, wenn du zu denken versuchst ..."
Sie stopfte ihm eine Olive ins Maul.
Frau D'uissi machte eine ungeduldige Handbewegung. "Ja, das ist er auch, aber eine besondere Form von Holz: Mondholz. Besonders feuerresistent. Bestens geeignet für unsere Arbeit."
"Die da wäre?"
Die dickliche Frau breitete ihre gigantischen Arme aus, als wollte sie die Halle umarmen. "Bergbau," sagte sie bloß. "Das schwarze Gold, wonach die ganze Welt ihre gierigen Finger ausstreckt. Die Villa Düsenschloss steht auf einem verdammten schwarzen Schatz, liebe Fürstin. Und weiterhin kommt es nur darauf an, was man aus dem schwarzen Gold macht." Sie drehte vielsagend an ihren metallenen Lockenwicklern. Magdalena wunderte sich nicht zum ersten Mal, warum die Frau nicht vor Schmerz heulte. Lockenwickler aus Metall, wer kam denn auf solche Ideen?
Stattdessen fragte sie:"Und wie kann Ihnen ein Mann aus Mondholz auf wundersame Art und Weise helfen, diese Schätze abzubauen?"
Frau D'uissi wandte sich an das schwarze Männlein. "Brand, erkläre der Fürstin bitte die Beschaffenheit deine Spezies, ich komme damit immer durcheinander."
Magdalena kicherte innerlich ob der Ironie des Namens und Brand trat vor. Mit der trockenen Stimme eines gelangweilten Erwachsenen erklärte er:"Der Fluss nahe der Villa Düsenschloss ist seit Jahrhunderten die Hauptpassage für Händler aus sämtlichen Landen und wird entsprechend frequentiert. Unzählige Schiffe sind seither auf Grund gelaufen und mit den Felsen oder anderen Schiffen kollidiert. Dabei traten mitunter Chemikalien aus, die Boden und Wasser versuchten. Eines Tages, so sagt man, ist ein Schiff, beladen mit Mondholz kurz vor der Villa gesunken. Man versuchte noch das Holz zu retten und aus den Tiefen zu ziehen. Herr D'uissi, Frau D'uissis Ur-Großvater, barg die Ladung und trocknete das Holz wochenlang. Als er sie schließlich in seinen Hochöfen verbrennen wollte, gelang ihm das nicht. Scheit um Scheit warf er in die Hitzeschächte, die sich nun unter uns befinden. Ein paar verbrannten schließlich, weitere blieben bestehen.
Alchemisten brachten ihn auf die Idee, Holzfiguren zu bauen und zu versuchen, sie mit Leben zu füllen. Zunächst klingt es wie eine grobe Dummheit. Aber immerhin hat jeder großartige Erfinder Ideen gehabt, die das gemeine Volk nicht verstand und ihn deshalb für verrückt erklärt hatten. Dreck mit Feuer zu verbinden und mit noch mehr Dreck zusammen zu mischen um daraus Lockenwickler zu basteln klingt für mich auch nicht gerade nach einem Geniestreich."
An dieser Stelle hüstelte Frau D'uissi und sah ihn streng an.
Brand für unbeirrt fort:"Ja, das war es dann. Wochenlang hat er sich in seinem Labor eingeschlossen, einige sagen, er sei verrückt geworden. Ich kann das nicht so ganz bestätigen, denn wenn jemand seinen Holzfiguren mit Kreide Gesichter aufmalt, die aus Versehen beständig bleiben und diese Malereien schließlich als Kunstwerke seiner Enkelkinder ausgibt, ist derjenige doch mit einem gesunden Schamgefühl ausgestattet. Oder etwa nicht?"
Er blickte Magdalena scharf an und sie nickte mehr aus Höflichkeit als aus Überzeugung.
"Danke, Brand," sagte Frau D'uissi und sah sich um. "Wo bleiben die anderen? Ist der Schichtwechsel nicht längst beendet?"
"Es sollte nicht mehr lange dauern, gnädigste Frau D'uissi. Wenn Sie erlauben, würde ich die Fürstin gerne auf ihrem Weg durch das Schloss begleiten. Mir scheint, sie hat meine Geschichte noch nicht ganz verstanden. Wir würden heute Abend zum Bankett wieder aufeinander treffen." Brand verräumte das letzte Gedeck und wandte sich an seine Chefin.
Magdalena wusste nicht so recht, ob sie beleidigt sein oder gespannt die Antwort Frau D'uissis erwarten sollte. Tatsächlich hatte sie noch die ein oder andere Frage an den hölzernen Mann. Überhaupt hatte sie angesichts der heutigen Begegnungen einige Fragen.
Frau D'uissi machte nur eine abwehrende Handbewegung. "Das ziehe ich dir alles von deinem Lohn ab. Aber gehe nur. Die anderen werden wohl eine Schicht ohne dich auskommen."

Sie sah zu den Schienen hinauf und Magdalena hörte, wie es in den Wänden donnerte und krachte. Die Geräusche kamen immer näher und mit einem Mal öffneten sich an allen Seiten Tore, die Loren und Loks ausspuckten. Abertausende Holzmänner fuhren darauf, zwischen den schwarzen Steinen oder auf der Ladefläche sitzend. Sie johlten und jauchzten und winkten der Fürstin von Düsenschloss. Magdalena winkte begeistert zurück.
Mandelkern kletterte an ihrem Arm herauf und zupfte an ihrem Ohr. "Auf geht's, Prinzessin. Jetzt wird es nur noch laut." "Aber die Mondhölzchen finden mich super!", rief sie. "Na, lass dir das mal nicht zu Kopfe steigen. Wir haben noch einen straffen Zeitplan vor uns."
Frau D'uissi drückte ihre Lippen auf Magdalenas Wangen und schickte sie zum Ausgang auf der gegenüberliegenden Seite. Brand folgte ihr klackend.

Gemeinsam bahnten sie sich ihren Weg vorbei an den Steine schleppenden, Loren auskippenden, Loren wieder auf schippenden und Bleche zu Lockenwicklern aufrollenden Holzmännern.








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