1. Kapitel: Prinzessin Magdalena

Stellt euch ein Schloss vor, so groß und imposant, dass es eines hohen Adelsgeschlechts würdig wäre. Mit hohen, glatten Türmen, die weit in den Himmel ragen und schmal wie Nadeln in die Wolken stechen. Die Mauern, erhaben und stark, umfassen schützend die dahinterliegenden Türme und Gebäude wie eine Mutter, die ihr kleinstes Kind in den Armen wiegt.
Es thront auf einem Felsen, von nahezu allen Himmelsrichtungen zu sehen und dennoch uneinnehmbar. Im Südosten liegt eine tiefe Schlucht, im Norden enttarnt die flache Ebene jeden sich annähernden Feind. Im Westen setzt sich der Felsen fort zu einem spitzen Berg aus Stein, den bisher kein Mensch bezwungen hat.
Seid euch gewiss, liebe Leser, dieses Schloss ist wie kein anderes. Kein Wanderer kann sich der Ehrfurcht entziehen, die sich unmittelbar in ihm ausbreitet, sobald er das Schloss in weiter Ferne erspäht. Jedes Weib der Stadt, die dem Schloss zu Fuße liegt, träumt davon, dort einmal zu wohnen, sei es nur als Magd, egal! Ein jeder verspricht sich davon eine großartige Zukunft und so sind die jährlichen Bewerber zahlreich.

Doch leider war dies nicht die Villa Düsenschloss.

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Prinzessin Magdalena schnaubte verächtlich und das langsam verblassende Bild ihrer Erinnerung schnaubte spöttisch zurück, als wollte es sagen; »ach, Kind, jetzt heul‘ doch nicht der Mama hinerher!«. Dabei war es genau das, was Magdalena am Liebsten tun wollte, als sie die schiefen Turmspitzen der Villa Düsenschloss sah.

Magdalenas Pflicht als Prinzessin hatte sie in diese Situation gebracht – denn jede Prinzessin heiratete früher oder später einen Prinzen. Das war nun einmal Fakt. Allerdings hatte es ihr stets an zugehörigem Pflichtbewusstsein gemangelt – sie war eine sehr schlampige Prinzessin gewesen. Ihre Leistungen im schlosseigenen Unterricht hatten sie leider nicht dafür qualifiziert, sich ein hübscheres Schloss mit noch hübscherem Prinzen frei wählen zu können. Dass sie obendrein nach ihrem miserablen Abschluss abenteuerliche Ausritte unternahm, von denen sie erst Wochen später zurück kehrte, steigerte nicht gerade ihre Chancen. Zunächst mit Besorgnis und dann zunehmender Befriedigung sahen Magdalenas Eltenr ihr zu, wie sie ihr Geld verprasste und nun schlichtweg dazu gezwungen war, sich ihrem Schicksal zu beugen.
Als sie sich dann auf die Suche nach einem potenziellen Prinzen machte, war die Auswahl derart gering, dass ihr die Entscheidung schnell abgenommen wurde: sie würde den Fürsten der Villa Düsenschloss heiraten.

Ein Fluss bahnte sich unweit von ihren Mauern seinen Weg und Magdalena und ihr Gefolge mussten eine schmale Brücke überqueren, um zu der Villa zu gelangen. Dunstiger Nebel kroch die Ufer hinauf und hing über dem Fluss wie eine weiße Decke.
Die Mauer, die die Villa umgab, erstreckte sich weiter als Magdalena erwartet hatte. Sie hatte auf einen förmlichen Besuch vor der offiziellen Vermählung verzichtet und so war der Fürst nur einmal in ihrem Schloss vorstellig geworden.

Das Tor zur Villa stand offen und Magdalenas Gefolge trat ein. Magdalena saß von ihrem Pferd ab und ging zu Fuß weiter. Das dunstige Wetter hatte sich zu einen unangenehm kalten Nieselregen entwickelt und ihr Herz wurde bei jedem Schritt schwerer, den sie auf die Villa zu ging.   
Schwarz und bedrohlich ragte sie aus der Ferne empor, das Gelände war wirklich groß. 

Leise knirschte der Kies unter ihren Stiefeln. Laternen säumten den Weg und brachten nur wenig Licht. Kurz vor der schweren Tür der Villa blieb sie stehen. Aus den Fenstern trat schummriges Licht in den Abend hinaus. »Hier wohnt ja tatsächlich jemand!« Inga, Magdalenas Hofdame, legte die Stirn in Falten und blickte zu den Fenstern hinauf. In ihrer Stimme lag Verwunderung. Magdalena konnte es ihr nicht verübeln. »Jetzt wohnen wir hier,« sagte sie mit fester Stimme.
»Sehr überzeugend, nur weiter so!«, kommentierte sie sich selbst. Magdalena schüttelte leicht den Kopf, wie um das sarkastische Stimmchen abzuschütteln.
Sie griff an den antiken Türklopfer aus Messing und wollte klopfen, als er plötzlich nachgab und wie eine billige Attrappe einfach herunter fiel. Klirrend schlug er auf und blieb liegen.
Inga brach in Gelächter aus und Magdalena starrte nur verdutzt auf den Messinggriff zu ihren Füßen. »Schau mal, Prinzessin, du bist nicht die erste, die ihn kaputt macht,« sagte Inga schnell und deutete auf die mehrfach geflickte Vorrichtung an der Tür, an der zuvor der Türklopfer befestigt gewesen war. Magdalena besah sich die Stelle genauer und zog Ingas Kopf näher.
Sie zeigte auf einen Fetzen Papier, der an der Tür klebte und sagte völlig unprinzessinnenhaft: »Alter, ist das etwa Klebeband?!«

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